Februar: Der Haussperling (Passer domesticus)
Du Spatzenhirn! Wer mit Ulmer Geschichte vertraut ist weiß genau, dass dieser Einstieg ein Lob und keine Beleidigung war. Der Haussperling, kurz auch Spatz genannt, der den Bau des Münsters rettete, ist legendär: Die Ulmer bekamen einen quer auf dem Wagen liegenden Holzbalken nicht durch das Stadttor, bis sie einen Spatzen beobachteten, der einen Grashalm der Länge nach in sein Nest beförderte.
Nicht nur in Ulm gehören Spatzen zum Stadtbild. Tatsächlich ist der Haussperling mit geschätzt 1,6 Milliarden Exemplaren der häufigste Vogel der Erde – abgesehen von den 20 Milliarden Hühnern, die in unseren Ställen einsitzen. Dieser Erfolg ist gleichermaßen zwei Dingen geschuldet: Spätzischer Intelligenz und Anpassungsfähigkeit sowie dem Bündnis mit einer weiteren erfolgreichen Spezies, dem Menschen. Seit zehntausend Jahren sind Spatzen als sogenannte Kulturfolger nachgewiesen. Also nahezu so lange, wie Menschen Landwirtschaft betreiben!
Vermutlich in dieser Zeit legten sie auch ihr Zugvogel-Verhalten ab und blieben fortan ihren Siedlungen treu. Mit dem Ackerbau verbreiteten sie sich von ihrem ursprünglichen Lebensraum im Nahen Osten über die ganze Alte Welt. Heute findet man sie auch in Amerika und Australien, also Gebieten, wohin sie den Menschen niemals aus eigenen Stücken hätten folgen können. Wie sie dann dorthin gekommen sind? Ganz einfach: Die Siedler aus Europa vermissten ihre kleinen Begleiter und importierten sie! Aus wenigen hundert in New York ausgesetzten Vögeln wurde in Amerika in nur hundert Jahren eine Population, die sich über den ganzen Kontinent erstreckte.
Aber ihr Erfolg wurde den Spatzen auch zum Problem: Nach dem Zweiten Weltkrieg galten sie als Schädlinge und wurden teils mit brachialer Gewalt bekämpft. Man schoss wortwörtlich mit Kanonen auf Spatzen! Auf lange Sicht erwies sich jedoch die Umgestaltung der Landwirtschaft mit dem Verschwinden der Hecken an Feldern als weitaus gefährlicher für die kleinen Vögel, so dass ihre Zahl in Deutschland seit Jahrzehnten rückläufig ist. Allerdings kann bei etwa fünf Millionen Brutpaaren in Deutschland von einer ernsthaften Bedrohung glücklicherweise noch keine Rede sein.
Übrigens: Spatzen gehören als Vögel wissenschaftlich betrachtet zu den Dinosauriern. Damit ziert das Münsterdach ein Raubsaurier und Horden kleiner Dinos ziehen jeden Tag durch die Ulmer Gassen! Nehmen Sie sich also einmal einen Moment Zeit, wenn Sie das nächste Mal eine Spatzenbande durch Ulm streifen sehen und beobachten Sie die kleinen Philanthropen-Saurier. Egal ob sie nun klug, frech oder dreckig sind – es lohnt sich!
Januar: Das Mondbechermoos (Lunaria cruciata)
Von Cora Carmesin
Unter den Pflanzen stehen die Moose im Ruf, besonders unverdaulich und unschmackhaft zu sein. Im besten Fall ähnelt ihr Aroma Papier, im schlechtesten … nun, probieren Sie es lieber nicht. Diese aus kulinarischer Sicht so bedauerliche Eigenschaft gereichte den Moosen unzweifelhaft zum Vorteil. In ihrer ganzen 400 Millionen Jahre langen Entwicklungsgeschichte haben sich keine nennenswerten Fraßfeinde entwickelt.
Wer den Moosen im Winter mangels Alternativen jedoch vermehrt zu Leibe rückt, sind Botaniker. Jene mit Lupen bewaffnete Spezies Mensch, die gerne liegend und auf den Boden starrend anzutreffen ist. Man findet sie an steilen Abgründen der Schwäbischen Alb, auf Gipfeln im Hochgebirge, in tiefe Brunnenschächte gebeugt. Überall. Weil Moose überall sind. Wenn es zu trocken für sie wird, beginnen sie zu Fasten – sie betreiben also keine Photosynthese und warten auf bessere Zeiten. Moose gibt es auch in der Stadt. Theoretisch in jeder Pflasterritze, wenn man sie lässt.
Aber warum sind Moose so interessant? Ganz einfach: Ihr Vorkommen verrät viel über die Eigenschaften des Ortes, wo sie wachsen. So kann man erkennen, ob der Boden kalkig oder saurer, feucht oder trocken, Schadstoffbelastet oder rein ist. Sie haben die Fähigkeit, Wasser schneller aufzunehmen als abzugeben und stabilisieren so das Mikroklima. Und sie sind wunderschön. Egal ob mit dem unbewaffneten Auge oder unter dem Mikroskop.
Nicht weniger erbaulich als ihr Äußeres sind viele ihrer Namen: Silber-Birnenmoos, Goldenes Frauenhaarmoos, Hübsches Goldhaarmoos, Krückenförmiges Kurzbüchsenmoos.
Sollten Sie demnächst bei einem Besuch in der Stadt an der Blau vorbeikommen und eine Person bäuchlings und kopfüberhängend am Ufer sehen, so fragen Sie, ob sie auf der Suche nach dem Mondbechermoos sei. Das schafft Eindruck!
Das Mondbechermoos gehört zu den Lebermoosen. Es kommt aus dem Mediterranen und hat sich in Deutschland als friedlicher Neophyt etabliert. Es lebt an Bächen, mag es kalkig, schattig und feucht. Sein Erkennungszeichen sind halbmondförmige Becherchen, in denen sich grüne, talergleiche Brutkörper befinden. Dabei handelt es sich um kleine Klone, die von Regentropfen herausgeschleudert werden. Scheinbar gefällt es den Mondbechermoosdamen in Deutschland besser als den Herren. Bislang haben nur weibliche Pflanzen Fuß gefasst, eine geschlechtliche Vermehrung wird nur im Mediterranen beobachtet. Aber vielleicht ändert sich das ja bald, wenn Sie mit den Wanderschuhen einen grünen Blinden Passagier aus dem Italienurlaub mitnehmen.